Zum Hauptinhalt springen

Woher kommen eigentlich die vielen Gänse

Langjährige Vogelbeobachter, Jäger und Landwirte sind sich einig: Vor ca. 30 Jahren waren derartige Rastzahlen an Wildgänsen, wie wir sie heute kennen, unbekannt. Betrachtet man die Situation näher, muss man zunächst zwischen Brutvögeln und Wintergästen unterscheiden; die wohl bekannteste Gans, die Graugans (Anser anser) ist die einzige Art, die von Natur aus hier bei uns als Brutvogel vorkommt. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Graugans bei uns weit verbreitet. Jedoch bereits um die Mitte des 19 Jahrhunderts beklagt Naumann, dass die Art aus weiten Teilen Deutschland verschwunden und inzwischen selten geworden ist. Als Ursache kann man von direkter Verfolgung (Jagd, Eiersammeln) ausgehen, sowie natürlich auch von den verschlechterten Lebensbedingungen im Bereich der Feuchtgebiete.

Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Graugans sehr populär, dies insbesondere durch die Forschungen des Verhaltensforschers Konrad Lorenz, der u. a. dafür 1973 den Nobelpreis erhielt. An verschiedenen Stellen fanden sich Jäger und selbst ernannte Verhaltensforscher dazu bereit, die Wiederansiedlung der Graugans im Wesentlichen durch Zucht und Aussetzung zu forcieren. In unserer Nähe sind dabei besonders Aussetzungen am Dümmer See und bei Braunschweig (Riddagshäuser Teiche) zu nennen. Seit den 90er Jahren hatte sich die Art dann überall durchgesetzt und inzwischen brüten Graugänse an der Northeimer Seenplatte, im Leinepolder bei Salzderhelden, am Seeburger See, sowie an kleineren Gewässern wie dem Göttinger Kiessee und dem Levinschen Teich bei Göttingen-Holtensen.

Die zweite bei uns brütende Art ist die Kanadagans (Branta canadensis). Auch deren Ausbreitung beruht auf Aussetzungen, wobei die Art ursprünglich – der Name lässt es erahnen – in Nordamerika verbreitet war. Von dort wurde sie nach Großbritannien verschleppt und dort – absichtlich oder versehentlich – ausgewildert. Auch ein Ansiedlungsprojekt in Südschweden hat es gegeben. Inzwischen ist die Kanadagans bei uns heimisch, wobei die Schwerpunkte der Verbreitung in Niedersachsen östlich der Weser in Richtung Elbtal liegen. Inzwischen sind auch im südniedersächsischen Raum Bruten beobachtet worden.

Die dritte, bei uns brütende Gänseart hat ebenfalls einen Migrationshintergrund. Auch die Nilgans (Alopochen aegyptiaca) wurde von den Briten nach Europa verbracht, vermutlich um die heimische Wasservogelfauna um einen weiteren schmucken Exoten zu bereichern. Von Großbritannien hat sie sich über die Niederlande und den Niederrhein nach Niedersachsen ausgebreitet, wo sie sich im Zuge der 1990er Jahre nahezu explosionsartig ausgebreitet hat. In Süd-Niedersachsen trat die Nilgans ihren endgültigen Siegeszug erst zu Beginn den 21. Jahrhunderts an und brütet derzeit nahezu überall, auch fern von Gewässern auf Hochsitzen oder Horsten von Bussarden und Rotmilanen, die sie auf höchst entschlossene und aggressive Weise von ihren Brutplätzen verjagt. Die Nilgans steht in dem Ruf, durch ihr aggressives Verhalten andere Arten zu verdrängen, ein wissenschaftlich belegter Hinweis dafür existiert aber nicht. Und – ob man will oder nicht – wir werden diesen Einwanderer nicht mehr los.

Nun zu den Wintergästen. Seit Mitte der 90er Jahre wurde eine starke Zunahme überwinternder Wildgänse in Niedersachsen beobachtet, zunächst an den Küsten, später auch bei uns im Binnenland. Das Phänomen hat wohl mehrere Ursachen: Zum einen wurde die Bejagung in den Brutgebieten reglementiert, die zuvor keinerlei Beschränkungen unterlag. So wurden in Sibirien sogar während der Brutzeit Gänse gejagt, um die dort ansässige Bevölkerung und die Strafgefangenenlager zu ernähren. Die Beschränkung solcher Zustände hat dann auch zu einem Anwachsen der Bestände gesorgt. Des Weiteren wurde das Nahrungsangebot durch die Intensivierung der Landnutzung immer eiweißreicher und somit attraktiver für die Gänse. Vor allem ist hier der intensive Anbau von Mais für die Erzeugung von Bioenergie zu nennen, der in den 90er Jahren bekanntlich exponentiell zugenommen hat.

Und der dritte entscheidende Faktor sind die immer milder gewordenen Winter, welche vor allem arm an Schneelagen sind. Mussten überwinternde Gänse früher in die milden Regionen der Niederlande, Belgien und Frankreichs ziehen, um dem Schnee auszuweichen, konnten sie nun zunehmend in Mitteleuropa überwintern. Kälte macht den Gänsen wenig aus, wohl aber höhere Schneelagen, die die Nahrungsbeschaffung erschweren.

Vereinfacht sind es drei Gänsearten, die unsere Region auf dem Durchzug oder zur Überwinterung aufsuchen: Saatgans (Anser fabalis), Blässgans (Anser albifrons) und Nonnen- oder Weißwangengans (Branta leucopsis). Von diesen ist die Saatgans in aller Regel der häufigste Wintergast. Sie brütet in Skandinavien und Nord Russland. Russische und finnische Brutvögel bilden zumeist den Winterbestand bei uns.

Zahlenmäßig hinter der Saatgans tritt im Binnenland die Blässgans zurück, an der Küste ist sie die deutlich häufigere Art. Blässgänse brüten auf Grönland, Island und im Norden Russlands. Zu uns nach Mitteleuropa gelangen in der Regel die Brutvögel der russischen Population.

Im Binnenland deutlich seltener ist die Nonnen- oder Weißwangengans zu beobachten, welche an den Küsten Niedersachsens mittlerweile die dominante Art darstellt. Sie gehört nicht zu den Grauen Gänsen, sondern zu den Bunten oder Meergänsen und ist auf Grund ihrer schwarz/weiß/silbernen Färbung zu erkennen. Ihre Brutgebiete erstrecken sich über Ost-Grönland, Spitzbergen, Skandinavien und Nord-Russland.

Die Wildgänse vergesellschaften sich gern in den rastenden Schwärmen, so dass man immer mit gemischten Trupps rechnen muss. Darüber hinaus fallen aufmerksamen und kundigen Beobachtern gelegentlich seltenere Arten auf wie Kurzschnabelgans (Anser brachyrhynchus), Waldsaatgans (Anser fabalis), Zwerggans (Anser erythropus) und Rothalsgans (Branta ruficollis). Zur – manchmal schwierigen - Bestimmung der Gänsearten im Feld und zu den Fragen des Umgangs mit Fraßschäden in der Landwirtschaft wird demnächst hier berichtet.