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Mai 2016: Dramatisches Familienleben in den Leinepoldern

Im Mai stehen für viele Vogelarten hektische Zeiten an, weil sie gerade Nachwuchs zu versorgen haben. Dabei spielen sich in den Leinepoldern zwischen Einbeck und Northeim in manchen Nestern dramatische Szenen ab, da den fürsorglich fütternden Eltern Kuckuckskinder untergeschoben wurden – und die haben es faustdick hinter den unsichtbaren Ohren.

Der Frühling ist die Zeit des Überflusses. Überall summt und krabbelt es, was für die heimischen Vögel optimal ist. Sie haben ihre Brutperiode auf die zahlreich auftretenden Insekten abgestimmt und können meist genügend Nahrung für die hungrigen Mäuler in ihren Nestern beschaffen.

In den Leinepoldern gibt es jetzt unzählige Vogelkinderstuben, dort brüten viele verschiedene Singvogelarten unterschiedlicher Größe. Unverwechselbar ist das schwarz, weiß und grau gefärbte Federkleid der Bachstelzen. Diese häufig über den Boden trippelnden Singvögel sind 16,5 bis 19 cm lang, wovon etwa 9 cm auf den Schwanz entfallen. Beim Laufen bewegen Bachstelzen den Kopf ruckartig nach vor und wippen ständig mit dem Schwanz auf und ab. Weshalb die kleinen Vögel ihren Schwanz oft unablässig bewegen, ist noch nicht vollständig geklärt. Viele Experten gehen davon aus, dass sie damit wahrscheinlich am Boden ruhende Insekten nervös machen und dazu veranlassen, sich zu bewegen. Davon profitieren die Bachstelzen, denn sie können sich bewegende Insekten meist erheblich besser wahrnehmen als still sitzende kleine Tiere.

Ob wir Menschen mit dieser Vermutung richtig liegen, werden uns die Bachstelzen wohl nie sagen können. Auf alle Fälle sind sie jedoch geschickte Jäger und gerade im Frühling sieht man sie oft mit einem ganzen Schnabel voller Fliegen, Schnaken und anderer kleiner Tiere, die sie zum Nest tragen. Dort warten meist fünf bis sechs hungrige Jungtiere darauf, mit Nahrung versorgt zu werden. Etwa zwei Wochen bleiben die jungen Bachstelzen im Nest und werden von ihren Eltern gefüttert. Dann fliegen sie aus, sind aber noch nicht selbstständig und erhalten weitere vier bis sieben Tage Nahrung von den Altvögeln, bis sie sich selbst ernähren können.

So weit die Theorie. Für manche Bachstelzeneltern entwickeln sich die Dinge allerdings ganz anders, denn sie gehören zu den Vogelarten, deren Nester vom Kuckuck parasitiert werden. Geschieht dies, bedeutet es für viele junge Bachstelzen meist das Aus, noch bevor sie überhaupt das Licht der Welt erblickt haben.

Unfreiwillige Adoption

Wie etliche andere Zugvögel verbringen die Kuckucke den Winter in Afrika. Ende April bis Anfang Mai treffen sie wieder in Deutschland ein und schon bald nach ihrer Rückkehr sind die charakteristischen Rufe dieser circa 32 bis 34 cm großen Vögel zu hören. Mit diesen  Kuckucksrufen locken die Männchen die Weibchen an. Nach der Paarung suchen die Weibchen passende Nester von Wirtsvögeln, also beispielsweise Nester von Zaunkönigen, Heckenbraunellen, Goldammern, Rohrsängern oder eben von Bachstelzen.

Pro Wirtsnest wird normalerweise nur ein Ei gelegt, was lediglich wenige Sekunden dauert und von den Nestinhabern in aller Regel nicht bemerkt wird. Die Eier der Kuckucke sehen den Eiern der Wirtsvögel sehr ähnlich, sind allerdings oftmals geringfügig größer. Nach einer Brutzeit von nur rund zwölf Tagen schlüpfen die jungen Kuckucke. Obwohl sie anfangs noch geschlossene Augen haben, wissen die Jung-Kuckucke genau, was zu tun ist, um sich die volle Aufmerksamkeit der arglosen Adoptiveltern zu sichern: Sie schieben die anderen Eier oder bereits geschlüpften Jungvögel aus dem Nest, indem sie sie auf ihren Rücken bugsieren, mit den seitlich erhobenen Flügeln festhalten und über den Nestrand drücken. Einmal aus dem Nest gestürzt, sterben die jungen Küken der Wirtsvogelart meist sehr schnell, weil sie in diesem Alter von ihren Eltern außerhalb des Nestes nicht gefüttert werden. In manchen Fällen sind die Nistmulden jedoch so tief, dass die Kuckucke den "Adoptiv-Geschwistermord" nicht vollführen können. Dann wachsen sie in einer Schar von Adoptivgeschwistern heran.

In den folgenden circa drei Wochen werden die jungen Kuckucke von den Wirtseltern umsorgt und mit Futter versorgt, als wären sie ihre eigenen Nachkommen. Dabei wachsen und gedeihen die Kuckuckskinder so gut, dass sie schon bald viel größer sind als ihre unfreiwilligen Eltern. Für diese ist die Situation äußerst anstrengend, weil der Appetit der Kuckucke meist deutlich länger gestillt werden muss, als dies bei einem Nest voller arteigener Küken der Fall wäre. Je nach Vogelart heißt das, dass die Elternvögel bis zu eine Woche länger mit einem im Nest hockenden Riesenküken zu tun haben. Besonders prekär ist die Lage für sie, wenn sich neben einem Kuckuck noch eigene Küken im Nest befinden. Weil der Kuckuck dann etwas weniger Nahrung abbekommt, als wenn er ein "Einzelkind" wäre, dauert es sogar noch etwas länger als drei Wochen, bis er flügge wird.

Weite Reise ohne Anleitung

Nachdem die jungen Kuckucke das Nest ihrer Wirtseltern verlassen haben, werden sie einige Tage weiter mit Nahrung versorgt – so auch in den Leinepoldern. Was danach folgt, ist verblüffend: "Den Sommer über bleiben die jungen Kuckucke in der Gegend und lernen immer besser, ihr Futter zu finden. Schon Anfang August machen sich die jugendlichen Kuckucke auf den Weg ins afrikanische Winterquartier, ohne dies von ihren Artgenossen gelernt zu haben", erklärt Thomas Spieker von Naturscouts Leinetal e.V. "Die Informationen über den Zugweg und das Ziel sind den Kuckucken angeboren und die jugendlichen Vögel finden die richtige Route ganz allein, denn Kuckucke ziehen anders als beispielsweise Gänse oder Kraniche nicht in Gruppen."

Während die Kuckucke sich bereits auf ihre lange Wanderung begeben haben, können sich nicht alle Wirtsvogelarten nach der anstrengenden Aufzucht in ihren Brutgebieten ausgiebig erholen. Einige der Vogelarten, die von Kuckucken parasitiert werden, sind selbst Zugvögel. Sie mausern im Sommer, um im Spätsommer oder Herbst mit frischem Federkleid in Richtung Süden zu ziehen.

Wandert man im Frühling im Naturschutzgebiet Leinepolder, stehen den Vögeln diese Familiendramen und Anstrengungen erst noch bevor oder haben gerade erst begonnen. Die männlichen Kuckucke verraten sich mit ihren Rufen und sind oft auch zu sehen, wohingegen viele andere Vogelarten während der Brutsaison ein eher unauffälliges Verhalten an den Tag legen. "Gern zeigen wir Naturscouts während unserer geführten Wanderungen von den Beobachtungsplätzen aus, wo man in dem weitläufigen Gebiet mit etwas Glück nahrungssuchende Altvögel beobachten kann. Es ist immer wieder faszinierend, wie viele Insekten gleichzeitig in einen Vogelschnabel passen und mit welchem Geschick die Elternvögel die Nahrung für ihren Nachwuchs aufspüren – oder eben für junge Kuckuckskinder", so Spieker.

 

 

 

 


 

 

 

 

Pressekontakt:


Gaby Schulemann-Maier
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