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Mai/Juni 2022: Rohrweihen – gaukelnde Flugkünstler mit scharfem Blick

Ihr Flug ist gaukelnd und sie kann sehr plötzlich akrobatische Haken schlagen, um ihre Beute zu überraschen. Mit ein wenig Glück lassen sich die Flugkünste der Rohrweihe über den Leinepoldern zwischen Northeim und Einbeck beobachten.

Zugegeben, ein alltäglicher Anblick ist die Rohrweihe in dem grünen und feuchten Lebensraum der Leinepolder nicht. Etliche andere Vogelarten sind dort mit erheblich mehr Individuen vertreten als sie. Und doch ist es erfreulich, dass sie im Leinetal immer mal wieder gesehen wird. 

Wie viele dieser etwa bussardgroßen Greifvögel es eigentlich in Deutschland oder gar weltweit gibt, ist nicht genau bekannt. Weil „Volkszählungen“ zum Erfassen sämtlicher Individuen bei Wildtieren kaum durchführbar sind, werden Sichtungen von Vögeln wie der Rohrweihe von einigen Engagierten im Rahmen sogenannter Kartierungen akribisch notiert.

Die so ermittelten Zahlen werden hochgerechnet, wobei selbstverständlich berücksichtigt wird, dass manche Tierarten nicht überall ihr Auskommen finden. Jüngsten Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland derzeit zwischen 6.500 und 9.000 Brutpaare der Rohrweihe – Genaueres ist nicht bekannt.

Für diese Vögel sind Lebensräume mit Schilf- oder Röhrichtbeständen attraktiv, was sich in ihrem Namen widerspiegelt. Kein Wunder also, dass über den Leinepoldern von Zeit zu Zeit Rohrweihen ihre Kreise ziehen. Allzu hoch fliegen sie aber für gewöhnlich nicht. Lieber bewegen sie sich recht dicht über den Pflanzen und halten Ausschau nach Beute.

Niedrige Suchflüge

Oft streifen Rohrweihen mit v-förmig gehaltenen Flügeln umher, wobei sie in der Luft schaukelnde und schwankende Bewegungen vollführen oder enge Bögen fliegen. Dabei halten sie die Umgebung aufmerksam im Blick. Kleine Federwülste, die ein wenig an Augenbrauen erinnern, schützen die leistungsstarken Augen vor von oben einfallendem, blendendem Sonnenlicht. Weil sie flinke Beute jagen, müssen Rohrweihen nicht nur selbst ausgesprochene Meisterflieger sein, sondern immer den Durchblick haben.

„Zwischen 70 und 80 Prozent ihrer Nahrung machen kleine Singvögel aus“, erklärt Thomas Spieker von den Naturscouts Leinetal e. V. Neben Singvögeln stehen – zumeist junge – Wasservögel wie Enten oder Blässhühner, Fische, Frösche und Eidechsen auf dem Speiseplan. Eier anderer Vögel verschmähen Rohrweihen ebenfalls nicht, genauso wenig wie kleine Säugetiere. „Was das angeht, bieten die Leinepolder diesen Greifvögeln unter anderem Mäuse als Beutetiere“, so Spieker. Fische, Frösche und Eidechsen sind weitere mögliche Beutetiere.

Hat eine Rohrweihe lohnende Beute erspäht, nähert sie sich im Flug und versucht das anvisierte Tier regelrecht zu überrumpeln. „Das gelingt ihr häufig mit unvorhergesehenen Richtungsänderungen“, weiß der Naturkenner. „Deshalb ist es so spannend, Rohrweihen zu beobachten: Aus einem Sondierungsflug kann sich unvermittelt eine Jagdsituation entwickeln.“

Bisher wurden hauptsächlich über dem Leinepolder 1 hin und wieder Rohrweihen gesehen, von Zeit zu Zeit auch an anderen Stellen wie an der Geschiebesperre Hollenstedt. Mit einem Fernglas oder einem Spektiv lassen sich von vielen Stellen und Aussichtspunkten diese Bereiche des großen Naturparadieses aus Menschenhand gut überblicken.

Nur während des Sommerhalbjahrs hier

Ein Fan von Schnee ist die Rohrweihe nicht, sie verbringt den Winter im Süden. In der Regel treten die Altvögel bereits Ende Juli oder Anfang August ihre Reise in die Überwinterungsquartiere an. Diese liegen in einigen Bereichen Südeuropas, etwa auf der Iberischen Halbinsel, sowie in Afrika südlich der Sahara. Viele jener Rohrweihen, die weiter östlich leben – ihr Verbreitungsgebiet reicht bis in die Mongolei –, überwintern etwa in Indien.

Um ihren Nachwuchs aufzuziehen, nutzen die Rohrweihen das vielfältige und teils üppige Nahrungsangebot, das ihnen der Frühling und Sommer beispielsweise in Mitteleuropa bietet. Zwischen April und August brüten sie ihre Eier in Bodennestern aus. „Jungvögel bekommt man aber kaum zu Gesicht, weil die Nester gut zwischen höherer Vegetation versteckt sind“, erläutert Thomas Spieker. Trotzdem konnten in den vergangen Jahren sporadisch einzelne Brutnachweise im Leinepolder erbracht werden

Im Bodennest sitzend, sind die Jungvögel in Gefahr, falls sie doch zum Beispiel von einem Fuchs entdeckt werden oder ein unachtsamer Spaziergänger auf sie tritt. Unter anderem deshalb ist es so wichtig, in Brutrevieren der Rohrweihen nicht einfach querfeldein zu laufen. Das gilt für Menschen wie für frei laufende Hunde gleichermaßen. In den Leinepoldern dient das Wegegebot zum Schutz zahlreicher scheuer sowie bodenbrütender Tiere, denn nicht nur die Rohrweihe nistet buchstäblich zu unseren Füßen. Bei aller Begeisterung für die schöne Landschaft und Natur ist somit stets auch Rücksichtnahme gefragt.